Monatsgedanken August 2023

Adler 2308 Fotor


 Du bist mein Helfer
und unter dem Schatten deiner Flügel
frohlocke ich

(Psalm 63,8)

 

Wer hat ihn wirklich schon einmal „live“ gesehen? Diesen prächtigen Vogel mit nicht selten einer Spannweite von mehr als zwei Metern. Manchmal wird er als Herr der Lüfte bezeichnet, dem nichts entgeht, was unter ihm passiert. Er gilt weltweit als das am meisten verwendete Wappentier. 33 mal kommt er auch in der Bibel vor und dort wie überall, hat er eine hohe Symbolkraft. Kraft und Schutz sind nur zwei Zuschreibungen, die den Beobachtern dieses Tieres über alle Zeiten einfielen. So auch jenem Psalmdichter aus dem Alten Testament der Bibel, der in diesem Lied die Macht und Größe Gottes preist. Gott hat keine Flügel, aber mit überschwänglichen Worten preist der Psalmist Gott, der ihm sogar das Leben gerettet habe. Wie sich die Adlerjungen unter den Flügeln des Adlers sicher und geborgen fühlen können, so hat dieser Mensch Gott in seinem Leben erfahren.
Aber ist das nicht doch nur ein schönes Bild? Kann und will Gott wirklich helfen? Das setzt natürlich zuerst  seine Existenz voraus. Aber angenommen Gott wäre wirklich da, gibt es nicht auch genug Beispiele wo Menschen vergeblich auf Gottes Hilfe gewartet und alle Gebete nichts genützt haben?
Im Dezember 2021 nach der Vereidigung der aktuellen Bundesregierung titelte die Zeitung DIE WELT: „Grüne Minister kommen ganz ohne „Gottes Hilfe“ aus“.

Bundesadler 2307Alle Minister und Ministerinnen dieser Partei verzichteten seinerzeit auf den Zusatz im Amtseid, der auf die Hilfe Gottes abhebt: „ So wahr mir Gott helfe!“ Auch der Bundeskanzler schloss sich dieser Formel nicht an. Das ist aber nicht zu kritisieren, denn auch ein Amtseid mit diesem religiösen Zusatz ist leicht dahingesagt und mag dann und wann nicht mehr als ein Lippenbekenntnis sein. Viel entscheidender ist, ob sich ein Mensch mal ernsthaft mit der sog. „Gretchenfrage“ auseinandergesetzt hat, die seit „Goethes Faust“ gelegentlich wieder auftaucht: Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann. Allein ich glaub’, du hältst nicht viel davon.“
Bei Goethe weicht der Gefragte (Faust) einer konkreten Antwort aus. Der Liedermacher von Psalm 63 und eine Vielzahl biblischer Personen geben hingegen eine für sie eindeutige Antwort. Sie haben Gottes Nähe gesucht und gefunden, hatten seine Hilfe erfahren. Ihre Antwort ist ein Bekenntnis zu ihrem Gott. Aber die Bibel als Spiegel des menschlichen Lebens, zeigt auch die andere Seite des menschlichen Lebens. Nicht wenige Menschen, die sich zu Gott bekennen erleben, dass der Adler nicht über ihnen schwebt, dass Ihnen die Geborgenheit und Zuversicht zu Gottes Hilfe abhandengekommen ist. Und derjenige ohne den es kein Christentum gäbe, Jesus der Christus selbst, ruft in seiner Todesstunde aus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“
Wie geht das zusammen? Ist das nicht doch der Beweis, dass es diesen Gott nicht geben kann? Das wäre eine sehr einfache Schlussfolgerung, die zudem nicht einmal wissenschaftlich nachzuvollziehen ist. Selbst in den Naturwissenschaften ist man inzwischen weit entfernt davon, alles in einem >Entweder–Oder-Schema< zu verstehen und hat erkannt, dass zwei sich ausschließende Fakten sehr wohl zusammen eine Wahrheit ergeben (Beispiel: Welle-Teilchen-Dualismus beim Licht; Inkommensurabilität) Doch auf der religiösen Ebene ist man natürlich besonders als Atheist mit einer einseitigen Logik bei der Hand:  Entweder Gott hilft (seinen) Leuten oder es gibt ihn nicht.
Aber der nahe, der helfende Gott und der ferne, verborgene Gott können und müssen zusammengedacht werden. Doch das führt in die Tiefen und nicht selten auch Abgründe der Theologie und Philosophie.
Bleiben wir beim konkreten Alltag der Menschen. Dieser Psalmist hat die Nähe Gottes in seiner Hilfe erfahren. Gott hat ihn beschützt, das ist seine feste Überzeugung. Aber ein anderer Liedermacher etwa des Psalms 88 ist hingegen verzweifelt über die Ferne Gottes, aber gleichzeitig überzeugt, dass er da ist.
Der Verfasser dieser Zeilen hat in seinem inzwischen längeren Leben beides erlebt: Jenen Gott der Heilung schenkt und eine neue Zukunft eröffnet und den Gott, der einem sehr jungen Menschen nicht hilft und ihn trotz aller Gebete sterben lässt. Bis heute habe ich dies nicht vergessen.
Es ist nicht leicht, diesen Widerspruch auszuhalten, aber das ist ein wichtiger Teil eines christlichen Lebens. Auch damit sind wir bei den biblischen Zeugen gut verstanden und aufgehoben: „Ich glaube; hilf meinem Unglauben!“ (Markus 9,24)

Nun sag’, wie hast du’s mit der Religion?“

im August Anno Domini 2023

© D.E.