Monatsgedanken November 2019

Erlösung 1911

 

 

Aber ich weiß,
dass mein Erlöser lebt,…

Hiob 19,25

 

 

 

Fußball: „Süle erlöst den FC Bayern“ so titelte vor einiger Zeit die Süddeutsche Zeitung und „Serdars Tor erlöst Schalke“ wie der WDR aus der Bundesliga berichtete.

Fußballfans wird das Wort „Erlösung“ sicher immer wieder begegnen und genau dann, wenn ein Spieler seine Mannschaft etwa in letzter Minute mit einem Tor vor der Niederlage oder zum Sieg führt, vielleicht sogar vor dem Abstieg bewahrt.

Aber was verbinden Sie mit dem Begriff „Erlöser“? Wo ist Ihnen der Begriff „Erlösung“ in letzter Zeit begegnet? Ist Erlösung ein Wort, das irgendwie auch in Ihrer Lebenssituation eine Bedeutung hat?
Wer von Erlösung redet, der hat vorher Unangenehmes oder Bedrückendes erfahren. Und die Lasten des Lebens können sehr unterschiedlich und darin oftmals auch sehr unerträglich sein. Es sind eigentlich immer wieder dieselben Themen, die uns belasten und laut beklagt - oder im inneren Menschen unausgesprochen - den Wunsch nach Erlösung aufrufen. Im Wort „Erlösung“ schwingt jedoch noch anderes mit als nur ein unbestimmtes Gefühl des „Glück gehabt“. Erlösung ist oft personifiziert, also an einen Erlöser gebunden, der die Befreiung aus der Bedrückung ermöglicht. An ihn sind Hoffnungen auf Rettung geknüpft. Hinzu kommt, dass Menschen wissen, ahnen oder erfahren, dass ihre eigenen Bemühungen in zentralen Fragen des Lebens oft nicht ausreichen. Wer kann sich schon „am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen“ wie der Volksmund es treffend münchhausisch umschreibt? Nicht selten ist die Hoffnung auf einen Erlöser kräftezehrend und letztlich vergeblich. So beschrieb es Samuel Beckett in seinem Theaterstück „Warten auf Godot“. Auch Goethe tat sich schwer damit, eine Erlösung für seinen Faust zu finden (Faust II) oder gar die Ursache dafür klar zu beschreiben. Aber dies ist ja ab 2021 verzichtbares Abiturwissen wie das NRW Schulministerium vor kurzem beschloss.
Unser Alltagswissen kennt sie dagegen sehr genau, die innere Sehnsucht nach dem, was wir oft abschwächend und oberflächlich als Antwort auf die Frage geben, wie es uns gehe: „Alles gut!“. Schon mit einem weiteren Gedanken wissen wir aber zugleich, dass eben nicht alles gut ist, schon gar nicht, wenn das Finale des eigenen Lebens sichtbar wird. Hier begegnet uns das Wort „Erlösung“ immer wieder in einem eigenartigen und letztlich fragwürdigen Verständnis. Am ersten Novembertag (katholisch genannt Allerheiligen) oder dem „Totensonntag“ (24.11.19, evangelisch) gedenken viele Christen, aber auch andere Menschen ihrer verstorbenen Familienmitglieder, Freundinnen und Freunden. Von nicht wenigen unter ihnen hieß es in den Todesanzeigen und Gesprächen, sie seien „erlöst“ worden. Aber wovon eigentlich? Und wozu oder gar wohin? Der „Gevatter Tod“ (Gebrüder Grimm) drückt am Ende kein Auge zu. Die zur Hilfe ausgereckte Hand der Bedrückten greift ins Leere. Da ist kein wirklicher Erlöser, der eine neue Zukunft eröffnet. Ganz anders sagt es der Mann, auf den der o.g. Monatsspruch verweist und dessen Name sprichwörtlich geworden ist für das, was Menschen oft Schreckliches als Hiobsbotschaft widerfährt. Keineswegs ist dieser alttestamentliche Mensch der christlichen Bibel derjenige, dessen Hand Gott sofort zur Rettung ergriff und alles wurde gut. Vielmehr riss die Summe seiner Schicksalsschläge nicht ab: Verlust seines Besitzes, Zurückziehen von Freunden und Verwandten, Tod seiner Familie. 42 Kapitel des Hiob-Buches des Alten Testaments lassen nichts Negatives aus, was einem Menschen widerfahren kann.

„Und wo ist dein Gott???“ so möchte man Hiob zurufen. Ihn kann es doch gar nicht geben! Wer auf die lange Liste der Grausamkeiten im Weltgeschehen und auch im persönlichen Leben sieht, scheint bestätigt zu werden: der liebe Gott ist bestenfalls eine Märchengestalt oder tot (Nietzsche). Dem stellt dieser Hiob Kritikern und Spöttern ein kräftiges ABER entgegen. Sein Elend ist für ihn selbst dann kein Grund an Gott zu zweifeln, wenn dieser für sein Leid verantwortlich wäre.

Unsere Weltgeschehen im Großen und Kleinen ist komplizierter als dass wir es mit unseren schnellen Schlussfolgerungen erklären könnten. Der biblisch als gottesfürchtig beschriebene fromme Hiob verstand sein Schicksal nicht. Aber er war überzeugt, dass sein Erlöser lebt „und“ … so lautet der vollständige Bibelvers, „wird er über dem Staube sich erheben“. Gemeint ist der Staub in Hiobs Grab. Den zweiten Teil dieses Verses übersetzte Luther kommentierend: „und er wird mich hernach aus der Erde aufwecken“. Nicht von ungefähr verwies er ergänzend in einer Randnotiz seiner letzten Bibelausgabe (1545) auf Jesus Christus als Retter. Und das ist keine Nebenbemerkung, sondern führt ins Zentrum der christlichen Botschaft. Während der alttestamentliche Hiob sich von seinen Freunden noch oft vorwerfen lassen musste, nicht genug für seine Erlösung getan zu haben, somit nicht „fromm“ genug gewesen zu sein, verkündigt das Neue Testament eine Erlösung, die „aus seiner Gnade (…) durch Christus Jesus geschehen ist“ (Römer 3,24). Hierin unterscheidet sich das Christentum von den Religionen dieser Welt: die rettende Erlösung braucht keine Mitwirkung des Bedrängten! Es gibt nach biblischer Schrift nur eine geradezu selbstverständliche Voraussetzung für die Erlösung. Das ist die ausgestreckte Hand des Menschen, der im Bewusstsein seiner Lage um Hilfe bittet und den „Namen des Herrn anruft“ (vgl. Röm.10, 13-17), vielleicht zum ersten Mal

im trüben November
Anno Domini 2019

© D.E.